Gründung als Volks- und Mittelschule
Als am 12. April 1958 der Schulneubau der Freiherr-vom-Stein-Schule an der Stoppelberger Hohl in Wetzlar im festlichen Rahmen seiner Bestimmung übergeben wurde, sah es rings um die Schule noch ziemlich leer aus. Von der späteren Neuen Wohnstadt war noch nichts zu sehen. An der Stoppelberger Hohl standen die Reihenhäuser der Vertriebenen, die oft „Schlesierhäuser“ genannt wurden, weil an der Frontseite die Landeswappen der ehemaligen deutschen Ostgebiete aufgebracht waren. Vor der Schule lag eine große Wiese, dahinter wuchsen auf einem Feld Erdbeeren.
Die Schule war damals eine Volksschule mit Mittelschulzweig (später Grund- und Realschule genannt) und wurde von 284 Schülern besucht. Die Schüler kamen aus der Ludwig-Erk-Schule sowie aus dem Mittelstufenzweig der Spilburg-Schule. Schulträger war damals die Stadt Wetzlar. Der Neubau kostete 885.000 DM und wurde durch Mittel des Landes Hessen unterstützt. Bürgermeister Dr. Wilhelm Schmidt übergab bei der Einweihung das Gemälde des Freiherrn vom Stein, welches bis dahin im Besitz des städtischen Museums gewesen war, als Geschenk an die Schule. Noch heute hängt dieses Bild des Namensgebers – nach gründlicher Restaurierung im Jahre 1995 – im Verwaltungsbereich der Schule.
Der Unterricht begann 1958 in acht Klassenräumen, dazu kamen zwei Fachräume, eine Lehrküche, die Verwaltung sowie eine Hausmeisterwohnung. Damals durften die Schüler die Klassenräume erst betreten, nachdem sie sich auf dem Schulhof in Zweierreihen aufgestellt hatten und vom Lehrer abgeholt wurden. Das erste Lehrerzimmer bestand nur aus dem Vorraum des heutigen Lehrerzimmers. Bereits im Oktober 1959 feierte man das Richtfest für den ersten Erweiterungsbau mit Turnhalle (12 x 24 Meter), zehn Klassenräumen, einem Musikraum, einem Filmraum sowie einer überdachten Pausenhalle mit 250 Quadratmetern.
Im August 1960 wurde dieser Bau seiner Bestimmung übergeben. In der Wetzlarer Neuen Zeitung vom 30. August 1960 hieß es damals: „Das Demonstrationsobjekt ist vollkommen“. Die sehr schnelle Erweiterung war notwendig geworden, weil die Schülerzahl bereits auf 540 angestiegen war. Dies war bedingt durch das schnelle Wachstum der Wohnstadt sowie durch den verstärkten Zuzug von Soldatenfamilien in diesem Bereich. Das Wachsen des Bundeswehrstandorts Wetzlar führte auch dazu, dass Räume der erwähnten Spilburg-Schule geräumt werden mussten und diese Mittelschüler an die Steinschule umzogen. Aufgrund des neuen “Hessischen Schulverwaltungsgesetzes” erfolgte 1961 die Umbenennung in “Volks- und Realschule”.
In dieser Zeit übernahm die Freiherr-vom-Stein-Schule die Rolle eines Kommunikationszentrums in der Wohnstadt. Sporttreibende trafen sich in der neuen Turnhalle und die katholische Sankt Bonifatius-Gemeinde hielt dort ihre Gottesdienste ab, bis die eigene Kirche errichtet war. Interessant für uns heute ist der Bericht der Wetzlarer Neuen Zeitung, die damals schrieb: „Das Prunkstück der Erweiterung aber ist die großzügig ausgestattete Turnhalle mit Toiletten, Umkleideräumen, Duschanlagen und Arztzimmer“. Dazu kann man aus heutiger Sicht nur feststellen, dass sich die Ansprüche in 50 Jahren stark verändert haben.
Das Einzugsgebiet der Steinschule erstreckte sich nun von Finsterloh, Büblingshausen und die Wohnstadt über Nauborn bis Volpertshausen sowie auf Nieder- und Oberwetz. Durch den wachsenden Verkehr wurde bald eine Fußgängerampel unumgänglich und die Flotte der Busse vor der Schule gab eine große Menge an Schülern frei.
Erweiterungen als Gesamtschule
Durch den voranschreitenden Ausbau des Wohngebietes rund um den Sturzkopf stieg die Schülerzahl weiter. Zum Schuljahr 1969/70 wurde die Freiherr-vom-Stein-Schule in eine von insgesamt zwölf Gesamtschulen im Altkreis Wetzlar umgewandelt. Neue Grundschulklassen wurden nicht mehr aufgenommen, aber eine Förderstufe wurde eingerichtet. Die Schule umfasste jetzt die Jahrgangsstufen 5-10. Die Fächer Mathematik und Englisch (später auch Deutsch und Französisch) wurden auf unterschiedlichen Leistungsniveaus unterrichtet. Die musischen, naturwissenschaftlichen und gesellschaftswissenschaftlichen Fächer blieben dagegen an den Klassenverband gekoppelt. Die bestehenden Grund-, Haupt- und Realschulklassen liefen aus.
Inzwischen besuchten 800 Schüler die Schule, die aus allen Nähten zu platzen drohte. Dies zerrte an den Nerven der Schüler, Lehrer und Eltern. Deshalb musste ein nächster Erweiterungsbau dringend realisiert werden. Im Februar 1972 bewilligte das Land Hessen finanzielle Mittel in Höhe von knapp 3 Millionen Mark für den nächsten Bauabschnitt. Dieser umfasste vor allem die Neueinrichtung des naturwissenschaftlichen Trakts mit Hörsälen, Übungsräumen und Vorbereitungsbereichen sowie zwei große Mehrzweckräume mit den dazugehörigen Archiven und Sammlungen. Im Stockwerk darunter wurden die Räume für Kunst und Polytechnik, ein Maschinenraum sowie ein Fotolabor eingerichtet. Die Fertigstellung verzögerte sich jedoch bis zum Oktober 1972.
Auch diese Erweiterung konnte immer noch nicht die Raumwünsche der weiter wachsenden Schule befriedigen. Die naturwissenschaftlichen Fachräume mussten leider zunächst in Klassenräume umfunktioniert werden, denn die in der Ludwig-Erk-Schule ausgelagerten Klassen kamen wegen des dortigen Raummangels zurück an die Steinschule. Deshalb wurden zusätzlich sogenannte „Pavillons“ – Holzbaracken mit einer Größe von 50 Quadratmetern ohne Wasseranschluss mit Einzelofenheizung – aufgestellt. In den Jahren von 1972 bis 1977 blieben diese Pavillons fester Bestandteil der schulischen Baulichkeiten.
Auf dem „Höhepunkt“ standen im Schuljahr 1974/75 elf Baracken im Schulgelände. Der Protest gegen diese unerträglichen Zustände wurde bei allen Betroffenen immer lauter und der Wunsch nach einem dritten Erweiterungsbau immer konkreter. Und man höre und staune: Bereits in diesem Zusammenhang sprach man von einer zweiten großen Sporthalle mit den Maßen 27 x 45 Meter. Realisiert wurde dieses Projekt allerdings erst am 1. Februar 2008 – aber dies ist eine andere „unendliche Geschichte“, wie in der Festschrift zum 50. Geburtstag der Schule nachzulesen ist. Die unhaltbaren Zustände für den Sportunterricht, die durch lange Anfahrten mit dem Bus an andere Turnhallen entstanden waren, konnten dadurch endlich beseitigt werden.
Gehofft hatte man in der Schulgemeinde auf die Realisierung des nächsten Bauabschnittes im Jahre 1975. Geschehen ist es dann endlich im Jahre 1977. Der Klassentrakt, der in südöstlicher Richtung angebaut wurde, war ein sogenannter „abgespeckter“ Bauabschnitt mit zehn Klassenräumen. Ursprünglich sollte ein doppelt so großes Gebäude entstehen, aber der „Pillenknick“ zeigte seine ersten Auswirkungen: die kommenden Schülerzahlen würden zurückgehen. Dies fand seinen Niederschlag in der weiteren Planung, sodass von diesem Zeitpunkt an keine baulichen Erweiterungen mehr stattgefunden haben.
Organisatorische Veränderungen gab es aber durchaus, als beschlossen wurde, dass die Schüler zur Erlangung des Haupt- oder Realschulabschlusses Prüfungen ablegen mussten. Zuerst waren diese Prüfungen freiwillig, ab 2004 mussten sich die Schüler in den Fächern Mathematik, Englisch und Deutsch einer schriftlichen Prüfung unterziehen. Eine Präsentation eines eng umgrenzten Themengebietes bildete den Abschluss der verbindlichen Prüfungseinheit.
Neuaufstellung als Gymnasium
Auf Wunsch vieler Eltern entschied sich der Lahn-Dill-Kreis 2002 dafür, in der damals noch flächendeckenden Gesamtschullandschaft eine weiterführende Schule in ein Gymnasium umzuwandeln. Die Wahl fiel dabei auf die Freiherr-vom-Stein-Schule. Die Struktur der Schule hat sich dadurch wiederum deutlich verändert. Während die Schülerschaft bis dahin aus dem näheren Umfeld kam, entsenden jetzt die Eltern von mehr als 25 Grundschulen ihre Kinder an die Steinschule, so dass sich das Einzugsgebiet nun auf die gesamte südliche Hälfte des Lahn-Dill-Kreises erstreckt. Die Freiherr-vom-Stein-Schule besitzt zwar keine eigene Oberstufe, nimmt aber dennoch seit 2002/03 als das einzige grundständige Gymnasium eine besondere Stellung ein.
Der Wechsel zum Gymnasium war kaum eingeleitet, als 2005/06 durch die Einführung des achtjährigen Gymnasiums die Sekundarstufe I um eine Jahrgangsstufe verkürzt wurde. Dieses unter dem Kürzel „G8“ bekannt gewordene Modell sah vor, dass der Wechsel in die gymnasiale Oberstufe bereits nach der Jahrgangsstufe 9 vollzogen wurde. Daraus folgte, dass die 2. Fremdsprache bereits in der Jahrgangsstufe 6 beginnen und die Schüler schon am Ende der Jahrgangsstufe 7 ihre Entscheidung für ein Fach des Wahlunterrichtes treffen mussten. Die Akzeptanz von „G8“ war nie groß – zu sehr hatten das Kollegium und die Eltern den Eindruck, noch „unfertige“ Schüler in Richtung Oberstufe zu entlassen. Die Freiherr-vom-Stein-Schule nahm deshalb die Möglichkeit gerne in Anspruch, als das Ministerium zum Schuljahr 2013/14 die Rückkehr zu G9 ebnete, also zu der alten, neunjährigen Organisationsform des Gymnasiums. Seit 2018 ist unsere Schule wieder ein reines G9-Gymnasium.
Im Jahre 2004 kam wieder Bewegung in das Thema „Bau“ an der Freiherr-vom-Stein-Schule. Ausgelöst wurde es durch die Pestalozzi-Schule, die seit Jahren unter miserablen räumlichen Verhältnissen litt und außerdem noch auf mehrere Standorte verteilt war. Die Schulgemeinde der Pestalozzi-Schule ließ sich nicht mehr „beruhigen“ und so beschloss der Kreistag am 13. Dezember 2004 auf dem oberhalb der Steinschule gelegenen Gelände einen Neubau zu errichten. Dieses Gelände gehörte der Stadt Wetzlar und wurde dem Lahn-Dill-Kreis zur Verfügung gestellt. Gewissermaßen als „Gegenleistung“ wurden der Stadt Nutzungszeiten in der neuen Sporthalle für Wetzlarer Vereine vom Schulträger zugesagt.
Im Zusammenhang mit diesem Bauvorhaben war natürlich auch die Frage einer weiteren Sporthalle wieder aktuell und so beschloss man beim Schulträger eine Groß-Sporthalle mit drei Feldern zwischen den beiden Schulen zu bauen. Da der Lahn-Dill-Kreis als Schulträger nicht über die finanziellen Mittel in dieser Größenordnung verfügte, entschied man sich für ein sogenanntes PPP-Projekt (Public-Private-Partnership) mit einem Kostenrahmen von insgesamt etwa 30 Millionen Euro. In diesem Projekt war der Neubau der Pestalozzi-Schule mit 16 Millionen, die Großsporthalle mit 5 Millionen und die Sanierung der Freiherr-vom-Stein-Schule mit etwa 9 Millionen Euro enthalten. Von der Komplettrenovierung profitierte unsere Schule sehr, aber die Bauarbeiten bei laufendem Betrieb und gleichzeitiger Umstellung von G9 auf G8 kosteten uns auch viel Kraft.
Zum Baukörper an der Stoppelberger Hohl gehörten zwei getrennte Mensen mit einer gemeinsamen Küche zum Baukörper. Ein Baukonsortium übernahm die Planung und Ausführung der baulichen Maßnahmen, ein weiteres Unternehmen die Leasing-Abwicklung. Baubeginn war im Februar 2007. Nach Fertigstellung mietete der Kreis das Gesamtprojekt für einen jährlichen Betrag von 2,5 Millionen Euro. Der Vertrag geht über 25 Jahre, danach ist der Kreis Besitzer des Objektes. Inzwischen sind alle Maßnahmen abgeschlossen, die Großsporthalle wird seit Februar 2008 genutzt und die Sanierung der Steinschule wurde im Sommer 2008 beendet.
Wenn es kein Zufall wäre, könnte man sagen: Ein schöneres Geschenk konnte es damals – zum 50-jährigen Bestehen der Freiherr-vom-Stein-Schule – nicht geben. Gegenüber den Anfängen aus dem Jahre 1958 ist das jetzige Schulensemble ein riesiger Baukomplex geworden, der sich unterhalb der Brühlsbacher Warte bis zur Stoppelberger Hohl trotzdem harmonisch in die Landschaft einfügt.
Blick zurück und Standortbestimmung
Bei den Feierlichkeiten im August 2018 – also zum 60jährigen Jubiläum unserer Schule – wurde oft und zu Recht darauf hingewiesen, welche bewegende Geschichte die Freiherr-vom-Stein-Schule besitzt. Sie entwickelte sich von einer Volks- und Mittelschule zur Gesamtschule, wurde dann ein G9-Gymnasium, musste dann aber den Bildungsgang in Form von „G8“ organisieren, um schließlich zur traditionellen Organisationsform des Gymnasiums (G9) wieder zurückzukehren. Die baulichen Veränderungen ergeben ein ähnlich wechselvolles Bild.
Dass die Schule so grundlegende Veränderungen erfolgreich bewältigt hat und sich dabei auch inhaltlich immer wieder „neu erfinden“ konnte, sind ein Beweis für das Engagement und die Innovationsfähigkeit des Kollegiums sowie für das Vertrauen der Elternschaft in die pädagogische Arbeit an der Freiherr-vom-Stein-Schule. Sie ist heute ein etabliertes Gymnasium mit einem außerordentlich breiten Bildungsangebot, wie die Profilklassen in den Jgst. 5 und 6 (Naturwissenschaften und Sport), der Schwerpunkt Musik und die Unterrichtsangebote im Wahlunterricht, aber auch am Nachmittag zeigen.